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VON DER BRANDUNG IN DIE TIEFE

Aktualisiert: 27. Mai 2024

Wie ich in mein Inneres gezogen wurde



2012 kaufte ich mir ein One-Way-Ticket nach Thailand, um von dort aus durch Asien zu reisen. Ich wollte 'mich selbst finden'. Ich hatte keine Ahnung was ich damit meinte aber diese Intention war glasklar in mir und zog mich auf die andere Seite der Weltkugel.


Sehr viel gereist bin ich dann letztendlich nicht, denn ich verliebte mich in eine kleine Insel in der Andamanensee, die bis dahin noch kaum bekannt war und blieb dort vier Jahre. Ich war mir sicher, dass ich von nun an weiter so vogelfrei leben wollte. Die meiste Zeit als Piratin im Tropenparadies, mich um Straßenhunde kümmern und zwischendurch mal nach Deutschland kommen, um für ein paar Monate durchzuarbeiten. Um meine Reisekasse aufzubessern. Das ging die ersten Jahre ziemlich gut und ich liebte mein Weltenbummlerleben.


Und dann kam alles ganz anders. Obwohl ich sehr glücklich darüber war, mich so frei und unabhängig in der Welt bewegen zu können, mir aussuchen zu können wie und wo ich leben wollte, hörte ich in mir immer wieder eine leise Stimme, die andeutete, dass etwas nicht stimmte. Ganz subtil, war da ständig eine Anspannung in mir darüber, dass ich mich die ganze Zeit am Existenzlimit bewegte. Denn mit dem Geld, dass ich mir zu der Zeit durch kurzes Jobben in Europa verdiente, konnte ich mich meistens für 8 Monate gut auf meiner kleinen Insel über Wasser halten, doch wenn es aufgebraucht war, startete ich jedes Mal wieder komplett pleite in den nächsten Gelegenheitsjob. Das erschöpfte mich mehr und mehr, ohne dass ich es wirklich bemerkt hatte. Die Stimme, die mich davor warnte, war zu leise und ich wollte ihr nicht zuhören.


Ich stand an einem kühlen Herbsttag am Frankfurter Flughafen, als ich mal wieder nach Deutschland kam, um zu arbeiten. Ich wartete gerade auf meinen Zug, als mein inneres Warnsystem einen deutlicheren Weg fand, um mir zu zeigen, dass etwas in mir nicht mehr in Ordnung war.


So wie die Jahre zuvor, war auch dieses Mal der Kontrast, von dieser berauschenden Welt, aus der ich gerade kam und der grauen kalten Betonlandschaft in Deutschland wie ein Schlag in die Magengrube.

In Asien konnte ich z.B. keine Schilder lesen. Die Schrift war mir fremd und alle wichtigen Informationen standen meist in kurzem, gebrochenem Englisch darunter. Das fand ich wunderbar erleichternd, ich konnte mich viel besser auf meine Umgebung konzentrieren. In Deutschland angekommen sprangen mir die Worte auf Werbebannern und Straßenschildern nur so entgegen und fühlten sich an wie Ohrfeigen.

'Schau dir das an!',

'Zieh dir das rein!',

'Hol dir noch was von dem hier!',

'Jetzt NEU! und nur HIER!',

'Achtung!',

'VORSICHT!',

'VERBOTEN!'.....

Eine Flut aus Sätzen und Gesprächsfetzen, in einer Sprache, die ich nicht erst übersetzen musste, drang in mich ein und mein Brustraum wurde immer enger und enger. Ich verspürte plötzlich einen großen Drang zu flüchten, mich zu verkriechen, den Raum um mich absperren zu können, damit nichts mehr eindringen kann. Mir war kalt und es war unheimlich schwer einen klaren Gedanken zu fassen. Ich spürte plötzlich einen so großen Druck, so als würde mich gleich jemand anspringen und fragen:

'UND WAS KOMMT JETZT? Wie hast du dir das denn jetzt vorgestellt? Willst du denn nicht endlich mal anfangen was Vernünftiges aus deinem Leben zu machen?'


Mein Herz begann zu rasen, ich fühlte mich seltsam ertappt und fremd in dieser Alltagswelt, die um mich herum stattfand und als ich dann ich im Zug saß, war es so, als säße da nur eine leere Hülle von mir. Ich starrte aus dem Fenster, sah die Landschaft an mir vorbeirasen und kam erst wieder richtig zu mir, als ich an der Station ankam, an der ich aussteigen musste.

Damals hatte ich keine Ahnung, dass mich dieses Gefühl von Enge und Flucht noch eine ganze Weile begleiten würde und noch so einige sehr unangenehme Gefühlszustände dazu kommen würden.



Ozean, Brandung, blaues Meer, Wellen,
pic by Max Ravier


ICH KOMM NICHT MEHR HOCH


Wenn ich jetzt zurückschaue auf diesen Tag, dann ist mir klar, dass ich dort am Flughafen eine Panikattacke hatte. Es war nicht meine Erste aber eine, die eine Welle von vielen Weiteren einleitete.

Zu dieser Zeit begann ich mich irgendwie in meinem Leben zu verlaufen. Nichts lief mehr nach Plan oder wie ich es mir eigentlich vorgestellt hatte. Ich fand lange keinen Job, saß in einer Stadt fest, in der ich gar nicht sein wollte, arbeitete dann sehr viel, um mich von meinen Existenzängsten abzulenken und begann eine Beziehung zu einem Mann, die sehr schnell toxisch wurde und aus der ich 4 Jahre lang keinen Ausweg fand. Für eine lange Weile, schaffte ich es nicht mehr zurück in mein kleines Inselparadies.


Es war, als wäre ich in der Brandung unter Wasser geraten. Immer wieder krachten über mir neue Wellen zusammen und so sehr ich mich auch anstrengte, ich kam nicht mehr an die rettende Oberfläche.

Ich wurde immer weiter in einen dunklen Abgrund gezogen. Panikattacken gehörten jetzt schon zu meinem Alltag. Sie packten mich beim Einkaufen, beim Autofahren, an Orten mit vielen Menschen. Schon die kleinste Herausforderung brachte mich aus dem Konzept und eine lähmende Angst sprang jeden Morgen in meinen Körper und ich wollte am liebsten nie wieder aufstehen. Als ich es endlich schaffte mich aus meiner Beziehung zu lösen und in einen anderen Stadtteil zu ziehen, dachte ich:

'Jetzt wird endlich alles wieder gut.'


Stattdessen wurde meine Panik immer absurder. Ich hatte plötzlich Angst, der Boden würde unter mir wegbrechen, oder mein Auto würde auf dem Weg zur Arbeit explodieren. Alles war überschattet von einer dunklen Gewissheit, dass mir furchtbare Dinge passieren würden und die ganze Welt auseinander fallen würde. An diesem Punkt erkannte ich, dass ich Hilfe brauchte. Ich ließ mich krankschreiben, bat meine damals beste Freundin mir beim Einkaufen und meinem Haushalt zu helfen und ließ mich von meiner Therapeutin in eine psychosomatische Klinik überweisen. Bis ich dort aufgenommen wurde, hatte ich alles losgelassen: meine Wohnung, meinen Job, meine Beziehung. Ich zog wieder in mein altes Kinderzimmer bei meinen Eltern und hatte keine Kraft mehr irgendetwas zu tun. Ich wollte mich einfach nur noch ins Bett legen und sterben.



Souldiver, Franziska Fuchs

Hier möchte ich den Text kurz unterbrechen. Was bewegt sich in dir, wenn du über diese Erfahrung liest? Erinnert Sie dich vielleicht an eigene Erfahrungen? Das Souldiver-Symbol ist eine Einladung einen Moment innezuhalten und in dich hinein zu spüren. Achte dabei auf deinen Atem und nimm wahr, was in deinem Körper passiert.




DIE STILLE AUF OFFENER SEE


Als ich in der Klinik ankam, war ich innerlich völlig leer. Schon in den Wochen davor, als ich auf die Aufnahme wartete, war ich so erschöpft und müde, dass ich beschloss mich einfach allem hinzugeben, was von nun an kommen würde. Auch die Antidepressiva, die mir verschrieben wurden, sorgten dafür, dass ich emotional wie genullt war. Ich konnte und wollte nichts mehr fühlen und das war nach all der Zeit voller Angst und Anspannung ein Zustand, in dem ich gut sein konnte. Eine große Stille breitete sich in mir aus und ich konnte mir nicht vorstellen, dass jemals wieder irgendetwas darin stattfinden würde. In ihr ließ ich mich eine Weile treiben und steuerte ganz langsam auf ein neues Ufer zu.


Wenn ich heute an diese Zeit zurückdenke, dann kriecht immer noch ein Teil der Angst und der Verzweiflung von damals unter meine Haut. Ich kann es wahrnehmen, lasse Sie durch meinen Körper strömen und erlebe, wie sie sich dort von ganz allein auflösen und sich in ein Kribbeln verwandeln, dass sich lebendig und wach anfühlt. Ich durchlebe eine Erinnerung im Hier und Jetzt, wo all das hinter mir liegt und trotzdem Teil meines Seins ist.


So seltsam sich das anhören mag, aber diese Zeit, der Aufenthalt in der Klinik und alles, was danach kam, Monate des Stolperns und wieder Aufstehens, war der Anfang einer wunderbaren Reise. Eine Reise, die mich mir selbst so viel näher brachte und durch die ich erkennen konnte, wie ich mich in meinem Leben immer wieder davon abhielt, mir ein erfülltes und authentisches Leben zu kreieren. Ich begann mich und mein Verhalten wirklich zu verstehen und dass depressive Episoden und Krisen Ausdruck meiner Seele sind, die mich auf etwas hinweisen möchte. Ich lernte, dass mein Körper ein Nervensystem beinhaltet, dass ebenfalls ständig mit mir kommuniziert und ich lernen kann, ihm zuzuhören und besser für mich zu sorgen. Ich durfte erfahren, dass ich Bedürfnisse habe und ich über diese mit Menschen sprechen und sie in Kontakt bringen kann. Und dass das nicht bedeutet schwach und anderen ausgeliefert zu sein. Ich fing an, mich auf eine ganz intuitive Weise aus meinen bisherigen Konditionierungen zu befreien und in ein neues Leben hinein zu entwickeln.



SCHÄTZE BERGEN

Seit diesem ersten unfreiwilligen und unangenehmen Tauchgang in mein Inneres, lasse ich mich heute immer wieder freiwillig auf diese Tiefe ein. Die Erkenntnisse, die ich auf diesen Tauchgängen, die ich SOULDIVES nenne, über mich finde, sind wahre Schätze, die mein Leben bereichern. Und ich tauche nicht mehr nur alleine. Auf meinem Weg haben mich viele Menschen begleitet und sich von mir begleiten lassen, in ihre eigenen Tiefen.


Das GEMEINSAM war für mich dabei der wichtigste Bestandteil, um meinen inneren Ozean zu erforschen und verarbeiten zu können, was ich dort fand. Als ich mir meine Verletzlichkeit eingestand und mich damit zeigte, wurde ich reich beschenkt. Denn wir alle sind verletzlich, sind sinnliche Wese. Zu erleben, dass das, was ich erfahre, andere Menschen dazu inspirieren kann sich auch auf den Weg machen zu wollen, um sich selbst zu erforschen, ist ein Geschenk, dass ich gerne weitergeben möchte.




 
 
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